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Amsterdamer Wagner-Meditation

Ein "Bühnenweihspiel" hat Richard Wagner seinen Parsifal genannt - und nur in Bayreuth dürfe es aufgeführt werden, hatte der Komponist verfügt. Die Sache mit Bayreuth ist längst Makulatur. An der niederländischen Staatsoper in Amsterdam hatte das Viereinhalbstundenstück gestern Abend Premiere.
Von den Motiven der Gralswelt im ersten Vorspiel, über vier einhalb Stunden hinweg bis zu den epiphanischen Schlussklängen - Iván Fischer am Pult nimmt die Parsifal-Musik mit größter Vorsicht in die Hände. Ehrfürchtig fast balanciert er die Klänge aus, so wie man die Seiten einer kostbaren Handschrift umblättert und die farbigen Zeichnungen nur mit den Augen abtastet, um das Material nicht zu verletzen. Wie in Zeitlupe scheint Fischer die Tonwolken zu jonglieren, ohne dass er dabei tatsächlich langsamer spielen ließe. Die Farbigkeit des akustischen Spektrums, seine Verwandlung in immer neue Schattierungen will er in Ruhe betrachten. Selten wird er wirklich laut, nie so laut, wie das Werk es eigentlich zuließe. Sein Feld ist das Piano, das er unendlich ausdifferenziert, bis hinein ins Verstummen. In Amsterdam zeigt Iván Fischer eine Parsifal-Meditation. Eine Interpretation, die nichts von einem Zugriff hat, der ja vom Übergriff nicht weit entfernt ist. Ein atemberaubendes Kunststück. Auch weil die Binnenspannung von Minute zu Minute lebendig bleibt, über den ganzen langen Abend hinweg. Fischer macht Wagners Kategorienverschiebung von der Zeit zum Raum sinnfällig.     Auf der Bühne jedoch geschieht etwas ganz anderes, jedenfalls im ersten Aufzug. Und sie sieht auch ganz anders aus, als die Musik klinkt. Schroffe Riesenfelsen, abgesägt wie in einem Steinbruch, blutrot schimmernde Wände. Das ist die Gralsburglandschaft. Eine für den Künstler und Bühnenbildner Anish Kapoor ganz untypische Gestaltung, liebt der Bildhauer doch eher die geometrisch eindeutigen Körper mit glatter und glänzender Oberfläche. Die kommt erst als kreisrunder Großspiegel im zweiten Aufzug zum Einsatz und als Großwand mit eingestanzter Kreisöffnung im dritten Aufzug. Das Gebirge am Anfang erinnert an eine unwirtliche Wüstenlandschaft. Eine Art Sekte hat sich dorthin zurückgezogen. In schmutzigen Lumpen zelebriert die Gralsgemeinschaft unter der Aufsicht einer Christuskarikatur, Amfortas, ein bizarres Blutritual. Kein Wunder, dass Parsifal da nichts verstehen kann. Die hier geweckten Assoziationen greifen die folgenden Bühnenbilder überhaupt nicht auf. Es ist, als habe man zwei höchst unterschiedliche Konzepte einfach zusammengezwungen. Die Bühnenbilder zwei und drei reagieren zudem nicht nur nicht auf Bühnenbild eins, sondern verweigern überhaupt jegliches Erzählen. Sie setzten nur ein einziges Symbol mit einer einzigen Botschaft: Weder die erotische Extase der Klingsor-Welt, noch die Askese der Gralswelt haben jeweils für sich allein bestand, nur Zusammen kann das Leben gelingen. Darum gesellt sich am Ende die Scheibe von Bühnenbild zwei zum Kreisausschnitt von Bühnenbild drei, wie Plus und Minus, Ying und Yang. Ähnlich schlicht ist die Personenführung von Regisseur Pierre Audi, wenn man überhaupt von einer ernstzunehmenden Sängerchoreografie sprechen kann. Auch der Chor war bei der Premiere gestern nicht in guter Form. Dass der Amsterdamer "Parsifal" musikalisch jedenfalls dennoch gelingt, liegt allerdings nicht nur an Iván Fischers Dirigat, sondern auch an einigen Solisten, allen voran Petra Lang als Kundry. Kundry: "Ich sah' das Kind an seiner Mutter Brust, sein erstes Lallen lacht mir noch im Ohr; das Leid im Herzen, wie lachte da auch Herzeleide, als ihren Schmerzen zujauchzte ihrer Augen Weide!" In ihrer großen Szene im Reich des Zauberers schwingen sich Petra Lang und der Brite Christopher Ventris als Parsifal auf zu einem intensiven Ringen um Verführung und Besinnung. Wagners scharfe psychologische Beobachtungsgabe kommt hier auch ohne Zutun der Regie zum Tragen. Von Christoph Schmitz, dradio.de